Tag 37: A Pino

bin tatsächlich der erste der aufsteht um acht uhr morgens im 4er schlag der herberge mitten in der altstadt von santiago. trau mich fast nicht aufzustehen da für einmal ich radau machen werde mit meinem zusammenpacken. ich reisse also quasi das aufstehen an und nach und nach folgen meine drei zimmergenossinnen. trete auf die strassen der altstadt. es ist knapp nach acht aber noch immer nicht richtig hell. es riecht herrlich nach schokolade und frischem brot. laufe zurück zur kathedrale und vorbei an dieser einen kleinen plaza an der ich die verganenen zwei tage etwa 20 mal vorbeigelaufen bin. hab unterdessen einen guten orientierungssinn in dieser stadt nach dem zweiten besuch.

auf der plaza vor der kathedrale herrscht eine herrliche ruhe. ein paar pilgernde sitzen und liegen am boden und schauen der dämmerung zu. unzählige studierende laufen direkt vorne an der kathedrale im eilschritt vorbei und haben wohl grad vorlesung demnächst. neben mir steht ein tattöwierter pilger und raucht seine zigarette fertig. schaut hochachtend zur kathedrale empor. ich nicke ihm zu und schaue in die gleiche richtung. nehme ein paar atemzüge der kühlen luft hier auf der plaza. adios santiago! weiter gehts gen westen nach fisterra, das ende der welt! knapp 90 km sind es bis zum leuchtturm. drei tage fussmarsch. fisterra galt als der westlichste punkt der damals bekannten welt.

laufe rechts von der plaza weiter runter aus der stadt. keine schilder und so muss ich gut suchen, bis ich den geführten weg aus der stadt finde. dutzende schulkinder laufen mir entgegen. ich mit stöcken und schwerem rucksack. ich liebe diese morgenstimmung.

ein leichter herbstnebel umhüllt die stadt. nach einer halben stunde erreiche ich einen tollen aussichtspunkt. sehe zurück zur altstadt — und die beiden türme der kathedrale aus dem nebel ragen. ein letztes mal sage ich der stadt tschüss. die während 35 tagen mein ziel gewesen war.

hasta luego santiago!

ich laufe durch eukalyptuswälder bis ich nach einer stunden vielleicht auf die erste bar treffe. zeit für einen americano! vor mir ein haufen arbeiter und lokale leute die irgendwas auf gallego labern. das gallego oder galicisch verstehe ich leider kein bisschen. vor santiago waren in einer solchen bar dutzende pilgernde anzutreffen in ihren neonfarbenen sportkleidern. heute: nix! bin der einzige. kurz danach kommen zwei frauen um die fünfzig herein. sie reden auf deutsch, spreche sie also auf deutsch an. heidi aus deutschland und christine aus der schweiz. letztere ist erst heute gestartet. heidi kommt von porto her. camino portugues. wir trinken kaffee zusammen und christine packt ihre znünibox voller proviant raus. richtig schweizerisch. süss!

ich laufe dann aber alleine weiter. nur kurz später an einer zweiten bar treffe ich auf victor und die belgier und ryan! diese jungs. irgendwie sympa aber so richtig einfügen kann ich mich nicht in die gruppe. würd schon mal gerne eine nacht im wald mit ihnen übernachten aber bisher hatte es nie gepasst! ich treffe sie immer entweder zu früh am morgen oder aber später am frühen abend wenn ich die herberge schon bezahlt habe. wir laufen zusammen ein stück aber ihrem französisch kann ich leider kaum folgen. und ihr englisch ist wirklich schlecht. wie mein französisch. sie ziehen also davon. bei einem fetten anstieg überhole ich heidi und christine. wann hatten die mich denn überholt. immer lustig solche verwirrende überhol-situationen auf dem camino. wir wechseln kurz ein paar worte. sie machen finisterre in vier tagen statt drei. ein ami will auf dem weiteren anstieg mit mir wieder dummen smalltalk führen und ich ziehe ignorant davon ohne viel weiter auf das gespräch einzugehen. nach etwa zwei stunden erreiche ich eine wunderschöne alte und breite steinbrücke. und ich überquere den wohl breitesten fluss auf dem camino. burgos war ja witzig. die ehemalige hauptstadt von castilla y leon und dem historischen spanien und da fliesst ein kleines bächlein durch. kein witz. das ding war vielleicht zwei meter breit. hier ist der fluss schon ordentlich. vierzig meter etwa? keine ahnung.

steinbrücke und sehr breiter fluss den man leider nicht erkennt auf dem foto!

sehe einen typen mitten im fluss auf einem stein sitzen und die füsse waschen. laufe weiter und erreiche negreiro. das dorf ist aber genauso hässlich wie alle grösseren dörfer in galizien und ich hole mir in einer tankstelle eine flasche wasser und ein paar erdnüsse. verdutzt schaue ich auf meinen wanderführer und die heutige etappe. hier wäre etappenziel. es ist 15 uhr und ich habe noch energie. beschliesse also in einem netten lokal erst mal zu mittag essen. zwei italiener und eine italienerin sitzen ebenfalls in der bude. beste ensalada mixta bekomme ich dann! herrliche salatsauce. zum ersten mal überhaupt salatsauce. hab noch nie salatsauce bekommen hier auf dem camino. die geben einem sonst immer eine plastikpackung olivenöl und aceto mit an den tisch. nicht mal salz oder pfeffer. oder senf. vermisse meine salatsauce die ich so gerne mache zu hause. der herrliche salat vorher setzt die messlatte aber zu hoch und die darauf folgenden patatas sind eine derbe entäuschung!

zahle und laufe weiter. sollte mich morgen wiedermal rasieren denke ich. macht keine gattung. als ich aus dem städtchen laufe, treffe ich auf den typen vom füsse waschen bei der brücke und seine grosse blonde begleitung. mit dem typen quatsche ich kurz, alex aus italien. weihnachtsbart. muss bei dem wort immer lachen. weihnachtsmannbart wäre akkurater aber meint das gleiche. es gibt diesen einen typ bart der wie angegossen demjenigen bart entspricht, der in meiner vorstellung der weihnachtsmann trägt. gut! wir laufen zusammen eine weile. sie kommen vom camino norte. ich verliere sie und verlaufe mich auf einer kurzen alternativroute. es beginnt zu nieseln und zu regnen. die camino app ist dafür wirklich TOP. dank GPS finde ich beim verlieren des weges jeweils im nullkommanichts zurück auf den ausgeschilderten weg. meistens merkt man relativ schnell, wenn man sich verlaufen hat. man spürt es irgendwie. im sinne von: das kann irgendwie nicht sein. das der camino HIER durchgeht. ein blick auf die app bestätigt das dann.

kastanien weit und breit verstreut auf dem camino nach finisterre

der nieselregen wird zum richtigen regen! mist. noch über eine stunde. bis a pena, das nächste dorf mit herberge. dort angekommen frage ich bei der zweiten herberge nach einem freien bett. alles voll. campieren verboten. laufen zurück zur ersten herberge mit bar. alles voll. zelten verboten. aber er sagt ich solle mir einfach draussen was suchen. melde mich fürs abendessen an. und setze mich draussen unter das weisse festzelt auf eine klappbank. ich kann weisse festzelte nicht ausstehen. klappbänke bis vor berlin auch nicht. seit berlin mag ich die klappbänke dann plötzlich. beim nächsten besuch in berlin sollte ich weisse festzelte aufsuchen. dann würde ich sie vielleicht plötzlich mögen. hol mir dann aber drinnen einen kaffee und eine limo. und stosse auf ivan aus barca! der bärtige typ mit dem wanderstock heute auch wieder ohne mexikaner. irgendwie will es aber immer noch nicht so richtig funken. er hat sein duschtuch um den kopf gebunden wie ein turban und steht oben ohne an der bar und bestellt ein bier. geiler typ. drinnen ist aber alles voll und so gehe ich wieder raus ins weisse festzelt. will gerade meine schuhe ausziehen und kurz durchatmen, da setzt sich kurze zeit später ein deutscher zu mir und quatscht mich an. hat meinen roten wanderführer auf deutsch erkannt. kluges kind. er fragt mich dann in ganz deutscher art zu allerlei themen aus. hab eigentlich keinen bock auf den typen. aber irgendwie wollen die deutschen dann immer deutsch reden und sich an die deutschen klammern. eine andere deutsche kommt nämlich dazu! mein gott. wie die italiener gibt es dann deutsche camino grüppchen. franz hatte sich dann auch immer an mich geheftet und mit anja und martin waren wir die letzten tage ja auch ein festes deutsches grüppchen. sehne mich nach diesem tag in der meseta, als ich mit rosa und alex und später flor einen ganzen tag nur spanich sprach. ich war eine andere person. sprach anders und dachte anders. es war wie auf einem anderen planeten. deutsch fühlt sich hier zu sehr nach heimat an, die ich ja nicht suche. könnt ja in deutschland bleiben ihr deutschen wenn ihr deutsch reden wollt.

abendessen dann wiedermal gemeinsam am tisch mit anderen pilgernden. ein pärchen aus holland. sie hat in saint jean gestartet. er kam erst in santiago dazu. erster tag also. am anderen tisch sitzen etwa 30 menschen und ich versuche ihre sprache zu identifizieren. die deutsche neben mir sagt mir dann, dass das eine polnische reisegruppe ist. 30 menschen aus polen! sie könnten rein vom aussehen aus irgendeinem anderen europäischen land kommen. komplett durchmischt. neben uns glaubs portugies*innen am tisch. vier frauen mittleren alters. sehen sympatisch aus.

schon um neun uhr verlasse ich dann aber die bar und laufe zur kirche. das tor sah zuerst verschlossen aus doch liess sich dann einfach öffnen. hier suche ich mir ein windgeschütztes plätzchen. premiumwiese! alles flach und schön gepflegt. ich stelle mein schönes zelt auf und schlüpfe in den kuscheligen schlafplatz. ach wie herrlich. es regnet auch gar nicht mehr. kommt dann aber vielleicht nochmals in der nacht. ich denke jetzt zurück an torres del rio. meine letzte nacht neben einer kirche. dort hatte ich mir geschworen, nie wieder in einer kirche zu schlafen. torres del rio. das war noch vor burgos. noch VOR der meseta. hatte aber schon gut eindruck gemacht. ich erinnere mich zurück an das mulmige gefühl, im zelt dort hoch oben neben der lauten kirche zu liegen. im halbdunkeln. mit den bellenden hunden. torres del rio. es scheint mir wie eine ewigkeit. und ich seit drei jahren unterwegs als nomade durch spanien. und immer noch unterwegs. immer noch unterwegs tag für tag.

gute nacht.