Tag 35: Santiago

als ich aufstehe sind martin und anja wiedermal schon über alle berge. franz liegt noch im bett. möchte gerne alleine los, also lasse ich franz zurück. er würde mich bestimmt einholen.

im dunkeln treffe ich schon bald auf ein französisches pärchen aus strassbourg. 72 jahre alt! sie meinten der französische weg sei schöner als der spanische. na klar, sagt ja auch die franzosin. von genf bis saint jean wär auch mal ein erlebnis. müsste aber mein französisch noch ordentlich schleifen bis dann. wir laufen hoch und runter und wieder hoch und erreichen monte gouza. ich erinnere mich an den ausblicksort der vor fünf jahren hier irgendwo war aber kann ihn nirgends wiedererkennen! auch von der bar war bisher keine spur. ich bleibe auf dem monte gouza stehen und schaue hinunter in das im frühen herbstnebel getauchte santiago. hier liegt nun also santiago de compostela. nach über 760 kilometern zu fuss unterwegs.

monte gouza. hier unten würde also santiago liegen. uns schauderts! nach so vielen tagen unterwegs jetzt hier anzukommen.

fehlt noch eine stunde. franz holt mich beim kurzen rast hier oben ein und wir laufen runter und kommen in die vorstadt. das französische pärchen von vorhin ist mit dabei. wir haben ja zeit. wieso die eile?? wir zögern unsere ankunft noch hinaus indem wir in einer bar halt machen und uns das erste käffchen gönnen. es ist montagmorgen. allerlei volk aus der stadt ist hier am sitzen und es ist für einmal sehr angenehm, nicht in einer neonfarbenen pilger*innen-gruppe zu sitzen! blättere etwas in der spanischen zeitung während ich auf unsere bestellung warte. wir setzen uns draussen auf die strasse und franz wird wieder ganz zornig als er über die deutsche kultur und anjas verhaltensweise redet. er kann sie nicht mehr ausstehen meint er. so sehr nerve ihn die deutsche art. zu deutsch sei sie meint er. franz erzählt mir über seine auswanderungspläne. seine reisepläne. sie wären nicht unähnlich mit meinen. auch ich muss und will da irgendwie raus. hab von der schweizer kultur derzeit die nase voll. zu engstirnig, verkrampft, arbeitswillig, unentspannt. der camino hat mir gezeigt: spanien mag ich eben doch sehr fest!! franz wird brüderlich. selten habe er so tiefsinnige und interessante gespräche wie mit mir geführt. mit seinen freunden aus regensburg würde er weniger solch schöne gespräche führen. ich fühle mich gerührt. als er mich dann aber allen ernstes fragt, ob ich mit ihm nächstes jahr auf eine grosse südamerikareise gehen würde, muss ich die antwort dann aber doch erst mal vertagen. stelle mir kurz vor wie es wäre mit franz durch die argentinische pampa zu reiten auf unseren pferden. mit franz zu reisen hiesse vor allem, viel bier zu trinken! es ist noch nicht 10 uhr morgens und franz bestellt das erste bier hier in der bar. ziel erreicht! also fast. es bleiben noch 30 min durch die vorstadt und innenstadt.

wir laufen zusammen weiter. sehen ab und an ein paar pilgernde aber vor allem menschen aus santiago die zur arbeit gehen! oder an die uni. an einer kreuzung kommt uns ein herrlicher schokoladenduft entgegen. die napolitana ruft uns zu sich!! wir finden die bäckerei! und sie haben wunderbar frische napolitanas in der vitrine. die dinger sind hier ja das pendant zu den pain au chocolats. einfach weniger gut. franz hat sich während dem camino durchprobiert und versichert mir in der schlange: die sehen gut aus. und wir holen uns gleich sechs davon. für martin und anja. und die russinnen vielleicht.

wir laufen durch die altstadt und die eine gasse kommt mir sichtlich bekannt vor von meinem letzten besuch 2017. wir nähern uns der kathedrale! und stehen plötzlich auf der plaza. voll mit menschen. allen voran tagestouristen, aber einzelne pilgernde erkennt man in der ferne. mit dem megafon werden ein paar gruppen durchgeführt. ich habe gestern schon gescherzt wir sollten einfach früher hier sein als diese megafon-gruppen. und das weisse touristen-züglein. zu spät. das züglein tuckert in dem moment neben uns durch. in der ferne ganz hinten an der plaza erkenne ich die italokids. thomas und dati und anhang. ein herzhaftes wiedersehen mit der truppe. emilio und slash sind auch hier. wir setzen uns im halbschatten und ich bleibe bestimmt eine halbe stunde mit der truppe hier sitzen. sie erzählen mir, dass sie um ein uhr morgens hier angekommen sind und vor dem pilgerbüro übernachtet hatten. die ersten bekommen anscheinend ein gratis abendessen spendiert. deshalb haben die in der schlange übernachtet! hat sich aber rausgestellt dass das abendessen nur an einzelpersonen und nicht an gruppen vergeben wird. also war die mühe umsonst. von weitem sehe ich martin und anja und franz und sie winken mich zu sich rüber! ach. wir umarmen uns aber ganz deutsch und emotionslos ohne tränen! francesco und paco haben hier sicher tränen vergossen. so emotional wie die jungs drauf sind. wir laufen eine treppe runter und setzen uns zum weisswein. adelina und svetlana sitzen auch schon hier! doch die pause weilt nur kurz. anja geht zum pilgergottesdienst rüber welcher in zehn minuten beginnt. franz und ich schauen uns an, kommen dann aber mit. die russinnen waren gestern schon angekommen und gehen weiter in die stadt rein. martin kann mit gottesdiensten nichts anfangen und bleibt in der zwischenzeit hier und schaut auf unsere rucksäcke auf. die kathedrale darf man nämlich nur ohne rucksäcke betreten. diese regeln! und zwar als pilger auch nur vom seiteneingang, das hat historische gründe. anja und franz habe ich beim zurücklaufen über die plaza unterdessen aus den augen verloren und ich suche verwirrt den eingang. da laufe ich doch glatt in pi rein, die junge spanierin! sie geht runter zur plaza und will alle neuankömmlinge beobachten, die auf die plaza treten. finde dann endlich den eingang. volle bude. kein sitzplatz mehr frei. war ja klar. alle schon eine stunde vorher hier. kotze gleich. messe fängt aber erst in einer viertelstunde an. in den abgedunkelten hallen treffe ich auf giulia und antonio und die brasilianerin! als die messe anfängt setze ich mich dann auf der seite an den boden. sehe franz und anja auf der anderen seite der bänke stehen. der priester murmelt dann irgendwas unverständliches auf spanisch ins mikrofon. keine chance was zu verstehen. vor mir sehe ich victor und die franzosen und den belgier. alle hier in der messe. das anlehnen an die wand hat seine gemütlichkeit und das murmeln des priesters was angenehm zyklisches und ich schlafe dann relativ schnell einfach ein! und plötzlich ist die messe fertig. im halbschlaf finde ich den ausgang im menschenstrom. nix mitbekommen. aber war schön.

weisswein unterhalb der plaza mit martin und anja (und franz)

zurück bei martin und dem weisswein beschliessen wir gemeinsam zu mittag essen. franz hat uns ein apartamiento organisiert und es ist nicht weit von der altstadt entfernt. aber zuerst mampfen! wir schlendern also durch die altstadt um das lokal ausfinding zu machen, welches hector, ein mexikaner von martin, empofohlen hatte. auf dem weg läuft mir kerem entgegen, die israelin, das französische pärchen von heute früh und — alain! der franzose mit dem weihnachtsbart aus sahagún. sein senfgelbes shirt ist jeweils schon aus hunderten metern auszumachen! so viele bekannte schon getroffen heute im grossen santiago. es ist unglaublich.

das lokal von hector hat sich dann anscheinend bei nicht wenigen pilgernden rumgesprochen und wir stehen vor einer guten menschenmasse schlange. hector, der kleine mexikaner, an vorderster front. wir gehen zur nächsten flasche weisswein rüber. ribera! es wird der tag des ribeiras, doch das wüssten wir zum jetzigen zeitpunkt noch nicht. zurück beim lokal setzen wir uns und die bedienung und alle leute um uns herum essen so schnell und in einer solchen hektik, dass wir regelrecht angesteckt werden. mit franz und martin reden wieder über die amis, denn am tisch neben uns sitzt wieder genannte spezies! und viele mexikaner*innen. hector sei dank. das essen schmeckt in der tat ausgezeichnet.

mit vollem magen beschliessen wir, endlich unsere rucksäcke in die gebuchte wohnung zu knallen. gerade verlassen wir das restaurant, stehen victor und ryan und die viererjungsbande auf der strasse. heute abend in der momo bar. vielleicht kommen wir vorbei.

die wohnung liegt am unteren rand der altstadt, irgendwo hier in der nähe waren auch candid und ich in der wohnung der alten dame. weiss aber nicht mehr wo genau. die wohnung ist perfekt und bietet alles was wir gerade brauchen! können sogar die wäsche auf dem balkon trocknen. grandios. martin kündigt sein lang ersehntes selber gekochtes italienisches abendessen an! wir dürfen wünschen. ich bitte um eine einfache pasta pomodoro. martin ist begeistert.

von meinem bett aus sehe ich die kathedrale! premiumloft.

powernap. anja holt uns gestresst in deutscher art aus den betten um die credencial holen zu gehen. die credencial ist sowas wie die urkunde nach erfolgreich absolviertem jakobsweg. ein zettel in lateinischer sprache. wir gehen hoch in die altstadt doch das ding hat schon zu. laufen also wieder zurück und die beiden russinnen stehen schon vor der türe. wir setzen an zum abendessen. und essen endlich mal eine gute portion pasta! die erste auf dem camino. ich kanns nicht fassen. und zum dessert tischt adelina den vodka auf! gleich eine fette flasche. der wird heute geleert meint sie nur lachend. adelina ist 42 jahre alt. hab sie auf 30 geschätzt. das russische geheimnis sei es aber, nach dem trinken von wodka fettige häppchen zu verspeisen. und zwar nach jedem gläschen vodka. das macht man so in russland um mehr trinken zu können. wir machen es ihr also nach. franz und ich bleiben dann aber bevorzugt bei unserem ribeira. nach der dritten flasche kommt franz zu mir und lobt mich für die weinauswahl. eine ausgezeichnete wahl. der beste wein den er je hatte. dabei hab ich den nicht mal gekauft. sondern franz. eine legende der typ.

franz im blumenhemd und RIBEIRA WEISSWEIN!!

die altstadt ist dann aber doch zu schön um sie sausen zu lassen! ich reisse das weiterziehen an. die brave anja geht dann aber schon schlafen und die russinnen in ihre herberge zurück. martin, franz und ich ziehen also im trio über die leere plaza und zurück zum altstadtviertel. es ist jedoch montagabend und nicht allzuviel los! also gehen wir die momo bar an. die franzosen wären dort. auf dem weg dahin treffen wir den älteren verwirrten deutschen an, der den ganzen camino mit leichtem rucksack gelaufen war, dabei jedoch am rechten arm einen kleinen wagen (zum einkaufen oder sonstige transporte normalerweise) hinter sich herzog. der typ sah ich ein paar mal mitten in der meseta seinen wagen hinterherziehen. immer und immer wieder. er war zwar halb so schnell im laufen, dafür aber nie am pause machen und so schaffte er es zum gleichen zeitpunkt nach santiago wie wir. es ist unglaublich. und er heisst franz!! martin und franz und martin und franz stehen also vor ein paar snackautomaten in santiago de compostela und der eine franz drückt sich einen fertighamburger aus dem automaten rein. es ist das erste mal dass wir den typen essen sehen. und pause machen. vielleicht wäre es seine erste mahlzeit und seine erste pause seit saint jean. wer weiss. eine koreanerin kommt herbei und war mit victor und der bande einen tag unterwegs und trifft sie in der momo bar.

vor den snackautomaten. links die zwei fränzleins. rechts der einte martin!

wir lassen die beiden vor den snackautomaten stehen und laufen zur bar. ganz nach paco hole ich uns drei pacharan. was denn sonst. wir starten in navarra mit pacharan und beenden santiago auch mit pacharan. die momo bar hat etwas skurriles. wir verbringen einige lustige stunden und wollen nicht aufhören hier zu bleiben und zu trinken!

martin und ich laufen dann später zusammen zurück zur wohnung und lassen franz in der bar weitertanzen mit den däninen. gut angetrunken haben wir ein leichtes, aber inniges gespräch. ich spüre eine solch tiefe freundschaft mit diesem guten mann, dass ich das gefühl habe ihn schon seit jahren zu kennen. martin aus dem südtirol ist 49 jahre alt. er ist knapp doppelt so alt wie ich doch das alter zählt auf dem camino kaum. wir hatten eine herrliche zeit zusammen auf dem camino!!