heute ausgesprochen ruhig und für mich. hab das so gewählt um etwas zeit für reflexion und momente der stille zu haben jetzt in den letzten tagen in der meseta. so viel wie francesco davon erzählt hat, habe ich sie mir als mühseliger vorgestellt. allgemein war bis jetzt alles sehr smooth. körperlich ist zwar meistens die letzte stunde bei etappen über 25 kilometer etwas zehrend, ansonsten aber alles gut zu bewerkstelligen. ausser der tag in estella, da konnte ich wirklich nicht mehr weiter mit dem schweren gepäck und den unpassenden schuhen! die erste woche war knallhart. nun aber mit den neuen schuhen und den eingelaufenen muskeln alles bestens die letzten tage. auch super geschlafen im zelt und gut erholt! und so musste ich nicht mal ein nickerchen machen am nachmittag ausser in carrion de los condes.
pausentag heute wäre also nicht für die körperliche erholung, sondern vielmehr für die seelische ruhe.
hab heute auch eine email von lynn erhalten und sie fragte sich nach dem warum dieses wegs für mich. eine zu grosse frage. es gäbe keine simple antwort. der camino rufe einem, sagt man hier immer wieder. wer weiss schon genau, warum er oder sie diesen weg mache, frage ich mich also heute früh im selben cafe von gestern. wieso diese strapazen auf sich nehmen? diese 800 kilometer zu fuss quer durch die landschaft spaniens? manche sind aus sportlichen gründen hier, wollen 20 oder 50 km am tag zurücklegen und sich fordern. der sportliche holländer. damit verbunden liegt die mentale herausforderung, diese strecke und diesen alltag auf sich zu nehmen. die junge italienerin morgens im dunkeln nach hontanas welche 70km nach pamplona abdrückte an einem tag (was ich immer noch nicht glauben kann). wäre reine kopfsache wie bei einem marathon. manche sind aus religiösen gründen hier. die fromme franzosin von gestern nachmittag. da wäre der kulturelle und soziale aspekt. paco und die hermanos gehören für mich in diese gruppe. oder spirituelle gründe. die eso-tante vor den toren von roncesvalles mit ihrem offenbarenden edelstein-pendel aus guatemala.
und ich? wäre einfach plötzlich hier auf dem camino, hab mir die frage nie gestellt, wieso ich wirklich hier bin, war irgendwie immer klar dass ich hier mal landen würde und nun ist es soweit. und es gefällt mir ausgesprochen gut! wunderbar hier ganz im moment zu sein. ich denke nicht oft an anderes als das jetzt. manche ziellose persönlichkeiten wären auch hier auf dem camino, weil das ziel im hintergrund immer da ist, immer präsent, stets weiterlaufen gen santiago. und so würde es womöglich auch mich schon heute wieder beissen weiterzugehen. ich lasse die frage vorerst mal setzen denn sie scheint mir zu gross.
es ist knapp 9.30 und ich sitze schon gut über eine stunde in der gleichen confiserie von gestern. eine oase hier und der camino führt direkt hier entlang. fühle mich unterdessen auch wohler an den pilgerhotspots als das ich jetzt an die plaza weiter unten im dorf mich setzen möchte mit den locals. ein paar wenige pilger*innen sind zu dieser zeit auch hier. lese weiter über die geschichte des irans.
auf einmal kommen zwei junge spanierinnen angekommen, ziehen ihre rucksäcke ab. ich kannte ihre gesichter aus dem foto von paco aus burgos! es waren die beiden spanierinnen vor denen ich mich geflüchtet hatte bevor meine herberge zuging! bei der schlange für den nächsten americano quatschte ich sie an und sie waren es tatsächlich! ich setzte mich also zu ihnen rüber und ich versuchte mich schon zu frühen morgenstunden im spanischen smalltalk und sie sprachen nicht gerade langsam. die damen kommen aus der nähe valencia und barcelona, südspanien irgendwo — und wollten noch weiter heute, bestimmt bis bercianos, zwei dörfer weiter! ich liess sie also gehen und setze mich wieder an meinen tisch zurück, las mich weiter durch die verzwickte geopolitik des irans und saudi-arabien. die damen heissen rosa und alexandra. und sind ausgesprochen sympathisch!
kurz vor mittag hatte ich zwar einiges an hunger, aber ich merkte wie fest ich den drang hatte auch weiterzugehen. sahagún war nett, aber das sollte es gewesen sein fürs erste. packe zusammen und laufe los.
laufe keine halbe stunde raus aus dem städtchen, als ich an einer alten brücke aus pflasterstein laufe. römer? möglich. eine junge frau, etwa gleich gross wie ich und mit schwerem rucksack und beiden armen voller taschen, schaut verbflüfft runter aufs wasser auf der mitte der brücke. laufe weiter und raus in die sonne und der weg wurde langsam zum kiesweg, ging aber noch immer der strasse nach. irgendwann wars mir dann doch zu heiss und ich wechselte zu kurzen hosen und tshirt! das mädchen holt mich ein und wir laufen etwa eine halbe stunde im gleichen tempo dicht beieinander dem weg entlang, sprechen aber kein wort miteinander ausser ein „buen camino“. niemand sonst auf dem weg, ist ja auch schon nachmittags. meistens sind ab 12/13 uhr kaum mehr leute unterwegs, vor allem in der meseta, kein schatten weit und breit. irgendwann nimmts mich dann aber doch wunder was die hier so teibt mit ihren taschen, sieht nicht gerade aus wie eine pilgerin. ihr spanischer akzent kommt mir warm und bekannt vor und ist mir auf die sekunde an sympatisch. sie mache eigentlich den weg der tempelritter und sei nur durch zufall auf dem camino gelandet, ist eigentlich auf dem weg nach ponferrada. sicher noch über 100km. ach ihr akzent! so schön. sie ist argentinerin und heisst maria flores, alias flor. wir reden zu beginn gar nicht viel, laufen einfach weiter in der mittagshitze. irgendwann kommt eine webgabelung. der südliche weg nach reliegos geht der strasse nach und wäre der ursprüngliche camino. ich hatte den nordweg eingeplant, wäre er landschaftlich doch um einiges interessanter und abwechslungsreicher bis nach reliegos, zwei tage fussmarsch entfernt vor uns. wir halten also an der gabelung an und flor überlegt kurz. sie wollte eigentlich den südlichen weg nehmen. entschliesst sich dann aber sich mir anzuschliessen! wir laufen still weiter, holen uns im nächsten dorf ein paar früchte und kommen langsam immer weiter ins gespräch. sie fängt an vom montserrat zu erzählen, ein berg bei barcelona, der ihr kraftort sei. fragt mich nach meinem sternzeichen und fängt an mir eine rede vom planeten jupiter zu halten. ich bin also jupiter, der vater aller planeten. quasi wie zeus. ist mir ja nichts neues. jupiter hätte alles im griff und es würde vieles so laufen wie er es möchte. ist mir nichts neues sage ich zurück. wir lachen beide laut raus. sie sei merkur und auf der suche nach jupiter. heilige maria. wieder so eine eso-tante aufgegabelt! kann sie aber nicht hängen lassen hier in der pampa und so erzählt sie mir bestimmt über eine stunde jenstes über astrologie und ägypten und mesopotamien. eigentlich schon so eine prise spannend. kann leider noch immer nicht viel damit anfangen. es wird langsam richtig heiss und wir schmeissen uns mitten im nirgendwo zusammen in den schatten. ich packe eine nektarine aus — und rauche eine zigarette hier im schatten der safaritour. flor scheint sichtlich zerstört vom langen marsch und liegt mit rücken am boden auf dem steppengras neben mir liegen. wir reden nicht viel. ich schaue mir die bäume vor mir an und denke: so stelle ich mir afrika vor. keine ahnung wieso. aber genau so. paar minuten leere. flor schaut mich an und meint: „so stelle ich mir afrika vor. war aber noch nie da!“. witzig! wir reden also über afrika und weiter über ägypten und der sternenkarte (oder wie das zeugs auch heisst). sitzen fast eine stunde im schatten. es wäre noch eine stunde zu dem kleinen dorf, unser etappenziel für heute. wir stehen auf. und laufen weiter in der hitze. fliegen schwirren uns ständig ins gesicht und das wasser ist leergetrunken noch bevor wir überhaupt weiter losgelaufen sind nach der pause.
das dorf taucht dann auf! erste herberge ist schon ausgebucht also laufen wir weiter rein ins dorf. und siehe da: die alberge municipal. ein älterer und straffer spanier begrüsst uns grimmig. erst zwei pilger hier, ein koreaner und ein franzose. können beide kein spanisch. sonst niemand hier. wass??? hab ich noch nie erlebt so wenig leute in der herberge. wir nehmen also das bett hier. und der typ labert uns heftigst voll. die ersten leute mit denen er wohl reden kann auf spanisch heute und wir haben etwa 17 uhr. er will nicht aufhören. gehe duschen, mache meine wäsche und kaufe ein für meine erste mahlzeit. noch nichts gegessen ausser die nektarine in der pause im schatten. und setze mich draussen auf der bank in die sonne. kommt der spanier von der herberge zu mir rüber und quatscht gnadenlos weiter. aber es wurde interessant, er fing an übers baskenland und katalonien zu reden. flor kommt dazu und setzt sich neben mich auf die bank. sie kriege keine tortilla in der bar! und möchte so gerne ein tortilla. und flor drückt mir einen blauen, eiförmigen stein in die hand und hält mir einen vortrag über die wirkungskraft dieses steins. ich probiere es und spüre: nichts! rein gar nichts. bin ich also schon gereinigt?
flor und ich laufen rüber zur ersten alberge die voll war, aber scheinbar die einzige bar in diesem dorf beherbergt. eine herberge beherbergt eine bar. ich denke kurz über die semantik dieses satzes nach aber sie scheint mir korrekt. flor und ich setzen uns also drinnen im restaurant an einen tisch — oder besser gesagt: werden an einen gedeckten tisch direkt gegenüber platziert — und obwohl ich die sehr hübsche argentinierin erst vor ein paar stunden kennengelernt habe fühlt es sich gerade an, als wären wir ein verheiratets pärchen im urlaub. und wir lachen beide ab der situation sehr fest. flor erzählt mir sie sei schauspielerin gewesen in buenos aires und 31 jahre alt. hätte sie deutlich jünger geschätzt. vor ein paar jahren sei sie dann auf die esotherik gestossen und habe von da an ihre schauspielkarriere an den nagel gehängt. sie hat eine unglaubliche ausstrahlung. und erinnert mich plötzlich sehr fest an eine begegnung mit einer schauspielerin aus zürich! bernadett hiess sie. flor bestellt nur pasta und dessert und ich nur dessert! bin noch satt von meinem mittagessen um 18 uhr.
wir verlassen das restaurant in der abenddämmerung und drehen eine runde im kleinen dörfchen. es sind plötzlich ganz viele bewohner*innen von hier auf der strasse und begrüssen uns ganz freundlich. noch immer werden wir pilgernde sehr warm begrüsst in den dörfern und das seit navarra! wir laufen also durchs dorf und weiter an den dorfrand. vor uns ein herrlicher sonnenuntergang. es wäre mein letzter hier in der meseta. paco wird mich morgen in reliegos abholen, knappe 5 stunden fussmarsch von hier entfernt. ich habe mich mit rosa und alexandra vom mittagessen in reliegos verabredet um uns wiederzusehen — und paco wird uns mit dem auto abholen! flor und ich haben ein tolles gespräch und sitzen auf der steppenwiese hier am dorfrand und laufen zurück zur herberge. in einer knappen minute geht die herberge zu und der grimmige spanier lässt nochmals ein paar sätze knallen! der typ ist 75 aber sieht aus wie 55! unglaublich wie fit er aussah heute nachmittag in seinem orangen polyester-sportshirt.