Tag 20: Sahagún

wäsche trocknen im innenhof des klosters in sahagún

wäre nicht viel auf dem programm heute. nach sahagún, die nächste kleinere stadt vor leon, wären es etwas mehr als zwei stunden. ich hatte gestern den hermanos vorgeschlagen, dass wir um 8 uhr loskönnten und um 10 uhr in sahagún frühstücken könnten. die biologische uhr hatte hier wohl aber den grösseren hebel und so kam mich donovan um 6 wecken im zelt draussen um mich zu fragen ob ich auch frühstücken käme. „no chance, nie im leben!“, gab ich relativ forsch zurück, drehte mich wieder im schlafsack und döste genüsslich weiter bis die ersten sonnenstrahlen ins zelt fielen so kurz nach acht. ich meinte doug zu hören draussen aber als ich aufstand war die gruppe schon weg! vermutlich habe ich geschlafen als sie gingen, hatte nichts gehört! aber nun gut. hole mir einen kaffee bei der bar der herberge und setze mich an die sonne. ein anderer langschläfer grüsst mich beim zähneputzen. der typ sieht aus wie ibrahimovic, der fussballspieler.

packe mein zelt und meinen rucksack zusammen und laufe los. fast niemand auf dem weg und es ist angenehm frisch! später laufe ich an einer kleinen kappelle vorbei. hier gibt es ein tor, welches die hälfte des weges markiert von roncesvalles nach santiago. erst die hälfte! es sind 31 offizielle etappen bis nach santiago von saint jean — ohne pausentage. mit 3-4 pausentage bis santiago bin ich bei 35 tagen. also trifft mit 19 tagen die hälfte in etwa zu? die rechnung geht nicht ganz auf, aber wird wohl schon stimmen in reinen kilometern (luftdistanz? oder tatsächliche wegkilometer? inkl. höhenmeter? zu viele fragen)

kurz vor sahagún wird es dann wieder heiss. knapp 11 uhr morgens erst. ich laufe in die vorstadt und das städtchen ist auch in der innenstadt etwas weniger romantisch als ich mir vorgestellt habe. bisheriges fazit: carrion de los condes und castrojeriz liegen hoch im kurs!! mitten in der meseta diese oasen. und diese plazas! ein vergnügen für die sinne. weiter auf dem camino durch das städtchen sahagún taucht plötzlich eine konfiserie auf. reges treiben hier und viele pilgernde. der belgier aus dem basecamp in hontanas! und die deutsche begleiterin von mortin, der blonde typ mit den rastas. ich hole mir etwas zu frühstücken und setze mich zur gruppe. mortin sei schon ein paar dörfer weiter. der blonde typ heisst tatsächlich mortin. martin und mortin. neben mir: ein grosser braungebrannter backpacker, übersät mit tattoos, leichtem sonnenbrand und wildem bartwuchs. von ihm hatte der belgier erzählt, er wäre auch schweizer. spreche ihn also auf schweizerdeutsch und siehe da! der zweite schweizer innert zwei tagen. gestern in moratinos bei der italienerherberge den ersten schweizer angetroffen aus altdorf. heute also den zweiten. vorher keine schweizer. von schweizerINNEN bisher keine spur. der schweizer ist aber auf dem aussteiger trip und lebt als langstreckenwanderer, wie er sagt. arbeitet 4 monate in der schweiz als securitas. die restlichen 8 monate sei er unterwegs am wandern. die 20k CHF würden ihm reichen, um AHV und pensionskasse einzuzahlen und gleichzeitig das restliche jahr davon leben zu können. sein rucksack wiegt 4kg. er erzählt mir in grossen tönen wie er überall gewicht einspart und was er alles nicht braucht. denke zurück an den sportlichen holländer. für den schweizer ist es aber alles, was er zurzeit besitzt. es ist sein zu hause, am rücken und den schultern tragend quasi. ich bin beeindruckt. hab aber zu gerne meine eigenen vier wänden dass ich sowas überhaupt in erwägung ziehen könnte. romantisch klingt es aber allemal. kanada und der pacific coast trail (PCT) seien seine nächsten fernwege. das krasseste: er ist von holland losgelaufen. 3000 kilometer. ist im mai gestartet. ende august hat er dann den belgier aufgegabelt auf dem camino zwischen le puy und saint jean. seither sind sie gemeinsam unterwegs. vier monate ist er also schon unterwegs. aber es würde keine rolle spielen. der weg ist das ziel für ihn und das quasi jeden tag.

beschliesse heute in der kirchlichen herberge zu bleiben. sie wäre zentral gelegen und ich bleibe morgen nochmals einen tag in sahagun. die hermanos wären mir einen tag voraus. aber es wäre zurzeit die richtige entscheidung, ich muss wieder aus der komfortzone raus und alleine im ozean des pilgermeeres schwimmen gehen. möchte mich etwas freier bewegen und vor allem andere bekanntschaften schliessen können. vielleicht würde ich sie noch einholen die kommenden tage. francesco hat aber zeitdruck und wird es durchziehen ohne pausentage um am 2. september in santiago zu sein. mir wäre es nicht so wichtig, die zweite hälfte konsequent gemeinsam zu gehen. wir würden uns wiedersehen. und ich hätte die gelegenheit, die letzten tage in der ruhigen meseta aufzusaugen, bevor in leon eine neue horde an pilgernde dazustossen wird. würde ich an den camino primitivo wechseln wie das deutsche pärchen? mal schauen. es wäre nicht verkehrt. könnte den frances ab leon irgendwann zwischen oktober und märz machen wenn er weniger frequentiert wäre. noch weiss ich ja nicht wie die lage aussieht. erst mal setzen lassen. eingeplant hatte ich 5-7 pausentage bis nach santiago. wäre ich früher dort, hätte ich mehr zeit in portugal und barcelona. morgen wäre gut um das bisherige mal zu verarbeiten. würde dann später nachmittags aufbrechen ins nächste dorf. dort abendessen. und in der nähe zelten. vielleicht sogar bei einer herberge.

in der kirchlichen herberge werde ich warm empfangen. drei männer, ich weiss nicht ob sie priester sind (oder welche rolle sie in der kirche haben), aber der eine zeigt mir das viererzimmer. ich teile es mit einem franzosen mit weihnachtsbart, um die 60, namens alain. im ersten stock über uns schlafen die nonnen, wir sind also verpflichtet sehr leise zu sein abends.

mache mir einen salat aus gekochten bohnen und mais wie schon in carrion und setze mich in den innenhof. campen darf ich hier nicht, meinte einer der männer. die katholische kirche auf dem camino erlebte ich bisher als sehr herzlich und warm, aber auch als sehr pedantisch. breche zu gerne die regeln als dass ich in so einem system meinen alltag verbringen könnte.

eine junge franzosin mit rock sitzt im innenhof, trägt ein kreuz um den hals und ist mit dem fahrrad unterwegs. sie spricht mit mir nur auf französisch. später setzt sich alain, mein zimmernachbar, zu mir und wir quatschen im innenhof. legendär wie auch er wiedermal nur auf französisch auf mich einlabert, obwohl ich kaum was verstehe. anglais? NON. hier auf dem camino ist es mit den franzos*innen wie damals in bordeaux und in korsika, als niemand mit uns auf englisch reden wollte. kenne kein volk das so verbissen und gewissermassen arrogant auf ihre eigene sprache beharrt.

schaue mir das dörfchen an. sonntagnachmittag in sahagún. setze mich nochmals in das cafe vom vormittag. und wer kommt denn da angelaufen. fat tony! tony ist eigentlich super schlank und gross und topfit, aber fat tony klingt schnittiger als der gute alte tony (was mir zu wörtlich genommen scheint) und kommt mir immer in den sinn wenn ich ihn sehe. ich glaube es gibt ein restaurant in zürich dass far tony heisst? bleiben nur kurz zusammen sitzen, gehe danach in die erste pilgermesse auf meinem weg! bekomme den ersten pilgersegen für diese gefährliche und abenteuerliche reise, denn wer weiss was mich auf dieser zweiten hälfte des weges noch alles erwartet. banditen und räuber und hinterlistige herbergen die nur darauf waren mich schweizer auszunehmen. die junge fromme franzosin sitzt in der ersten reihe und ist emotional sichtlich mitgenommen von der messe. eine christliche messe ist doch wie ein frage-antwort-spiel. der pfarrer stellt die fragen und man muss mit dem richtigen satz rausrücken. ich kann mir diese nie merken und schon gar nicht auf spanisch wiedergeben und so stehe ich eingeklemmt zwischen zwei älteren spanierinnen aus dem dorf still da während meine bankbachbarinnen ihre sätzchen aufsagen. der pfarrer hat einen völlig übertriebenen amerikanischen akzent während er die messe auf spanisch hält und ich verstehe nur wenige wörter aus seinem mund.

will mir was zu essen holen und suche mir ein restaurant aus welches das fussballspiel von heute abend zwischen real madrid und atletico NICHT überträgt, da wäre das essen vielleicht besser. und siehe da, es gibt tatsächlich eines ohne TV und die haben sogar weisse tischtücher! will nach einem freien tisch fragen, als vor mir drei pilgende in sportkleider auftauchen und mich zum essen einladen! ein pärchen aus rhode island (sie kennen bob aus rhode island nicht) und ein brasilianer aus sao paulo. ein netter abend und nicht ganz so langweilig wie mit dem pärchen aus nevada, aber auch dieses amerikanische pärchen will mit mir wieder nur über berge und skifahren reden.

schau mir dann kurz denn fussballmatch an zwischen den beiden madrider rivalen auf der plaza mayor zusammen mit ein paar spanischen vätern.

muss dann aber vor 22 uhr zurück sein in der kirchlichen herberge, welche eigentlich ein nonnenkloster ist — ziemlich unscheinbar eingebunden hier in sahagun. im zimmer dann die nächste überraschung: ein dicker spanier hat sich das obere bett in meinem etagenbett geschnappt und drückt sich gerade eine handvoll gummibärchen in den mund als ich hereinkomme. hola buenas. wieso wieder mein bett. der typ packt gerade sein zeugs aus und geht duschen als ich in den schlafsack schlüpfe. alain der franzose schläft neben uns schon tief und gibt leichte schnarchgeräusche vor sich. denke an mein zelt, aber es wurde mir ja verboten im innenhof des klosters zu campieren. als der spanier zurück von der dusche kommt und das bett besteigt habe ich ohne witz das gefühl das ganze ding krache gerade zusammen. jede seiner bewegungen lässt das etagenbett wackeln so dass ich mühe habe einzuschlafen. bin heute aber auch nur zwei stunden gelaufen!