Tag 11: Santo Domingo de la Calzada

santo domingo de la calzada

hab heute den ganzen tag nur tortilla gefuttert. ein saftiges kuchenartiges ding aus kartoffeln und eier. paco weckte uns in der wohnung um 7 uhr. ausschlafen heute! er meinte heute würde leicht werden. doug hat eine anbahnende sehnenentzündung und nimmt pacos auto und fährt damit zu unserem etappenziel. er fragt ob wir gepäck loswerden wollen. ich überlege kurz. aber mit jedem tag training wird das gepäck weniger schwer. schwindet der schmerz im rücken und geht runter in die füsse. lehne ab, nehme die 14kg auf mich. wir kehren in die gleiche bar ein, in der ich gestern die schlimmste pizza meines lebens hatte und schnappen uns was zu frühstücken. paco meinte es würde einfach werden heute. haha! bin fast gestorben. das wusste ich dann aber noch nicht. donovan hatte schon ordentlich die plappermaschine gestartet und wir brachen nach einer kurzen viertelstunde in der bar gemeinsam auf. vor uns die mächtige front der rioja alta. wow!! wir nahmen den steilen anstieg auf uns und es folgte eine fünfstündige plapperwand von donovan. ich versuchte es als mentale herausforderung zu sehen, dem gespräch nicht nur folgen zu können, sondern ein anregendes und ausgeglichenes gespräch zu haben die ganze zeit über. irgendwann war ich dann genug wach und es wurde interessant. hab ich heute viel gelernt. von indiana, new york, den states allgemein. wir halten alle 20-30 min an und er zeigt mir immer wieder fotos seiner kinder und seiner frau. süss. er war in der marine. dann anwalt bei hitachi. jetzt pensioniert mit 57. mit 57! wegen dem militärdienst anscheinend.

gruppenfoto vor dem abmarsch in najera! von links nach rechts: francesco, donovan, paco, ich, doug, borja

wir laufen durch prächtige weinfelder und später mächtige flächen von leeren weizenfelder. la rioja alta. paco stosst dazu und wir fahren mit dem geschichtsunterricht über spanien weiter. er erzählt mir auch von sevilla und valencia. sein freund ruft an und er spricht mit ihm auf valenciano. verstehe kein wort. selbst borja der mit uns mitläuft versteht kaum was davon, wie er mir sagt.

von borja erfahre ich, dass er von PLAYSTATION bzw. sony gesponsert wird für den camino. irgendwas mit „the last of us“, mein all-time lieblingsspiel auf der playstation. kam vor ca. 10 jahren raus. schöner zufall. hab noch nicht ganz verstanden wieso und was er für verpflichtungen hat sony gegenüber. der typ scheint aber MÄCHTIG berühmt zu sein bei den kleinen kids. gestern kamen alle zehn minuten junge kinder und wollten ein foto mit ihm. irgendwo in der pampa spaniens in najera.

donovan kriege ich aber bis zum schluss nicht los und kann seiner story auch nicht glauben, welche er mir bestimmt schon zum fünten mal unter die nase hält. „the funny thing is martin, you know, i originally planned to walk the camino in silence. in solitude. but then i realized what i really wanted to have is community“. der typ hat mich ja schon in seiner ersten minute ab seinem losmarsch von der herberge zugelabert. das war in odessa, beim aufstieg nach dem brunnen. keine minute von der herberge entfernt, wo er die erste nacht geschlafen hatte. hat er dann schon entschieden, dass community wichtiger als silence sei für ihn? oder war es unumgänglich? hat er es schon am abend zuvor in odessa bemerkt? oder erst in roncesvalles? donovan wurde auf dem weg heute dann aber ernster. er hat gemeint er will von mir lernen. laufen zu können ohne zu reden. er meinte, ich könnte das ganz gut und er möchte es mir gleichtun und es morgen eine stunde probieren. eine stunde! das will ich morgen sehen. ich mag den typen sehr. heute fünf stunden labern war sehr viel, aber doch sehr anregend. gutes training. „you know my wife is very introvert. VERY introvert. i know what this must feel like for you“, meinte er zu mir und lachte laut raus auf der rioja alta. HAHAHA. ich liebe sein lachen.

auf dem höchsten punkt der heutigen etappe sahen wir dann endlich runter auf santo domingo. endlich. noch eine knappe stunde. die sonne brannte kräftig, unsere nacken waren rot, es gab keinen einzigen schatten auf dem weg um der sonne auszuweichen. wir mussten jetzt da durch. durchbeissen. ein glück hatte ich mir den hut in logroño gekauft bei der netten dame. donovan hat einen weissen reflektierenden sonnenschirm fürs wandern. und bringt bei jedem pilgernden dem wir begegnen heute den gleichen witz: „i‘m marry poppins. haha! marry poppins!“. im schlussspurt treffen wir auf ein älteres ehepaar aus phoenix, arizona. genau wie doug. die kennen doug aber nicht.

agekommen in santo domingo de la calzada holt donovan gleich mal zwei grosse bier. ich will auf cola ausweichen, donovan schmunzelt nur: „a coke AND a pinto!“ wir setzen uns zu francesco und einer finnin namens susana. irgendwann steht donovan auf: „oh my god oh my god!“ und hält seine hände auf den kopf. „show your feets martin“. ich ziehe die socken aus und schaue ihn verglotzt an. susana, die finnin, hat ein ähnliches tattoo an ihrem fuss. ein dino auf einem skateboard. der artstyle ist komplett verschieden aber das motiv gleich! wie lustig. hab ich bisher noch nicht erlebt sowas. fast das gleiche tattoo am gleichen ort. hab es erst seit einem halben jahr, wie oft das mir noch passieren würde kann ich noch nicht hochrechnen. susana scheint auch weniger aus den socken gehauen zu sein als donovan und verzieht kaum die miene. donovan ist komplett aus dem häuschen: „this is INCREDIBLE guys!!“

donovan und ich crashen die airbnb wohnung von doug ganz in der nähe der plaza. setze die erste wäsche auf in einer waschmaschine seit dem aufbruch in zürich. vorher immer handwäsche. dachte mir, es wäre nicht schlecht hier mal ordentlich alles durchzuwaschen. donovan tut es mir gleich und schmeisst sein zeugs in die trommel. doug liegt verletzt im bett. pacito ist am schlafen.

setze mich in ein cafe in den strassen von santo domingo. zu kaputt zum lesen. schreiben geht gerade noch und so verfasse ich diese zeilen. zu essen haben sie nur tortillas mit schinken oder ohne schinken. küche macht erst später auf. bestelle gleich zwei stücke und somit die sechste und siebte tortilla dieses tages. abends würde es ja etwas abwechslung geben dann. hab meine normale brille nicht dabei und laufe alles zurück zur wohnung um sie zu holen. um dann zu erfahren dass doug schon beim aperitivo ist mit dem schlüssel und nur 20 meter dort entfernt wo ich vorher im cafe war. laufe also alles wieder zurück.

sehe ein paar kinder durch die gassen rennen und denke zurück an die „cola babies“ von josian. wunderbare abendstimmung. josian meinte die cola babies seien in frankreich ein grosses problem geworden da viele kinder zu viel cola trinken und massiv übergewichtig werden durch den täglichen cola konsum! cola babies haha.

aperitivo zusammen mit marisiana und doug, donovan, paco und francesco. borjas bruder ist auch hier und wird die nächsten beiden tagen mit borja auf dem camino unterwegs sein. auf dem weg zur plaza rennen wir dauernd in junge kids rein welche ein foto mit borja machen wollen. im restaurant noch schlimmer dann. es war freitagabend und es hatte sich im dorf herumgesprochen, dass „luzu“ (sein spitzname im internet) hier ist. scharenweise kommen kinder und beten borja um ein foto. das ist nicht mehr generation Z, sondern generation alpha, jahrgang 2010 und höher. alle kids halten ihr tabletgrosses smartphone in den händen, telefonieren herum, schreiben nachrichten, während sie im kreis stehend oder auf ihren fahrrädern auf dem dorfplatz verweilen und auf uns und vor allem luzu blicken. sie sind vollständig präsent in der hybriden welt des metaversums. wenn das smartphone bei „gen z“ ein organ geworden ist, was ist es dann bei „gen alpha“? teil des gehirns? ein (noch) an die hände gebundes und somit entkoppeltes implantat technischer hocherrungenschaften? denke an die fortschritte des brain-computer interfaces (BCI) und was da wohl noch alles zukommt auf uns. geht aber noch 20 jahre, haben noch bisschen zeit.

donovan und ich schlagen uns ein dreigängiges pilgermenü in den magen voll bis wir nicht mehr können. der rest der gruppe belässt es bei einem eingänger. dass die den ganzen tag wandern und danach fast nichts essen scheint mir suspekt! donovan zeigt mir noch mehr fotos seiner kinder und seines gartens. und seiner grünen bohnen.

wir haben uns die vergangen tage allesamt nach und nach hüte gekauft. doug fehlt noch. paco hat sich nach logroño irgendwo in der damenabteilung vergriffen und einen grossen dunkelblauen damenhut gekauft. marisa hat so fest darüber gelacht, dass sie den tag darauf paco einen ordentlichen beigen spanischen geflochteten hut gekauft hat. wenn wir alle die hüte anziehen sieht dass dann ziemlich witzig aus und zurück in der wohnung schiessen wir stolzen tages ein gruppenfoto auf dem sofa mit unseren hüten! paco und ich sehen auf der strasse im café zusammen mit den sonnenbrillen dann aus wie die mafiabosse des mexikanischen sinaloa kartells. bombastisch.