war heute noch härter als gestern? womöglich. auf jeden fall brannte die sonne die letzten beiden stunden beim wandern ätzend auf kopf und haut auf den kiesweg, die arme tropften. möge einer sagen es würde der herbst kommen hier. keine spur von herbst.
zum ersten mal schlafte ich durch bis der wecker mich aus dem schlaf reisst. passierte nicht mal die erste nacht in den pyrenäen, da war ich wohl noch etwas zu aufgeregt auf den pilgerstrom und wie gross er sein würde. aber zelt ist schon deutlich angenehmer als die grossen schlafsääle. zum ersten mal kein rascheln morgens. das rascheln hat halt den vorteil dass ich früher loslaufe. könnte das mit dem mikrofon mal aufnehmen und als klingelton reintun. teilweise reden die leute in voller lautstärke um 5 uhr. ich meine was soll die scheisse? würde mir etwas mehr respekt wünschen für die schlafenden. donovan regt sich auch göttlich darüber auf. ich liebe seine art des aufregens in amerikanischem akzent: „i mean what the fuck?“, hebt dazu die linke augenbraue und hält seine hand so, als würde er in der kirche eine hostie erhalten.
zelt zusammengepackt auf dem garten. nur zwei minuten danach in die erste bäckerei eingekehrt. gestern kam erst nach etwa 3 stunden die erste bude. klar, es war sonntag. vielleicht deshalb. aber wollte heute vorbeugen. kaufte gipfeli ein und eine tasse milch und ass mein müesli auf den dunklen gassen der altstadt von puente la reina. neben mir ein paar ältere damen im karoshirt bereit für den marsch.
an den rest des weges kann ich mich nicht mehr gross erinnern. lief hauptsächlich alleine. vorbei neben einer autobahn. ein mittelalterliches dorf erhob sich von weitem schon in der landschaft. die hatten dann aber nur pappbecherkaffee aus dem automaten also liess ich es sein, kaufte mir brot und käse für auf den weg. ich wusste der weg nach estella, mein geplantes tagesziel, würde sich ziehen. die sonne begann langsam zu brennen und es war erst kurz nach 10 uhr. vor mir eine gruppe latinos ohne rucksack. diese kleine schlingelbande. „turigrinos“ nennt man sie im spanischen. es ist schon hart das zu sehen während einem der rücken so sehr schmerzt. ich machte halt vor einer wunderbar alternativen oase mitten in einem olivenfeld. es gab ein paar tische und man sah in die weite landschaft. machte rast. mich überholten um die 30-40 pilger*innen. laufe weiter. merke auch gerade dass ich präsens und vergangenszeitformen kreuz und quer mische hier in diesem blog. kein schulbuchdeutsch, aber bin zu kaputt um hier korrekturen zu machen. muss morgen fix einen tag auszeit nehmen. muss meine knie und beine entlasten. die sehnen. regenerieren. estella wäre genug gross dass ich auf die post gehen könnte. was heimschicken könnte was zu viel gewicht wäre. einen brief an lynn schreiben. denke oft an lynn und vermisse ihr lachen schon sehr fest. bin noch keine woche unterwegs und es fühlt sich an wie jahre. der alltag in zürich scheint gerade sehr weit weg. los cinco hermanos en el camino, geeint seit eh und je. einen tag pause würde aber heissen, dass sie an mir vorbeiziehen. paco. donovan. francesco. und doug. doug ist künstler in phoenix, arizona. macht metallskulpturen irgendwas. seine frau ist im rollstuhl. er telefoniert jeden abend mit ihr, sehr süss. francesco ist masseur. donovan zeigte uns fotos seiner kinder und seiner frau beim abendessen in puente la reina. ich könnte eigentlich sein sohn sein, ist etwa gleich alt. und bei paco? tippe immer noch auf spanischen mafiaboss. der typ ist eine wahre legende. unser pilgervater. würde ich sie einholen können nächste woche? ich mag die kerle sehr. wäre sicherlich aber auch schön, neue bekanntschaften zu machen so wie josian. eine etwas gemischtere gruppe. dann erholt sich auch meine leber hoffentlich wieder. die kommt wegen paco sonst bald noch an den anschlag. und früher schlafen. 5 uhr aufstehen und 6 uhr los macht mehr sinn. ich spare mir die ätzende letzte stunde in der mittagshitze. aber 5 ist dann schon arg früh. eine andere option wäre es, mir eine prepaid sim karte zu kaufen und wegen reservationen zu schauen für die herbergen und siesta machen unterwegs.
irgendwann kommt dann die hitze tatsächlich. ich falle in den schatten direkt vor einen baum, bleibe liegen. kann nicht mehr. neue blasen bilden sich am linken fuss. muss sagen, ich hätte nicht gedacht, dass mich der camino sportlich so fordern würde. liegt es am schweren rucksack? würde die tage besserung kommen wenn sehnen und knie sich etwas erholen?
erreiche die herberge irgendwann. völlig zerstört. lege mich auf mein bett und höre zum ersten mal musik seit meiner reise. am meisten werde ich donovan vermissen. ich mag den typen. HAHAHA. sein lautes lachen hört man von der grössten entfernung. er kommt ursprünglich aus new york. und schwört auf new-york-style pizza. sei besser als napolitanische. francesco wurde zornig, hob die hände, als wir gestern darüber sprachen. ich würde auf einen neuen batch von leuten treffen morgen, mit ihnen weiterziehen. mit ein paar neuen kam ich heute kurz ins gespräch in der herberge, sehr flüchtig alles. ich muss morgen meinen hungerakku wieder aufladen. ordentlich reinfooden und mir eine strategie überlegen, wie ich fortfahren möchte bzw laufen und essen. wie/wann essen und wann und wo pause. am liebsten war mir der tag nach pamplona. ich war früh auf den beinen. war um 10.30 in einer bäckerei am frühstücken. 11.30 vor der herberge. schlafplatz war auf sicher, hunger einigermassen gestillt. auf 14 uhr mittagessen in der stadt oder wo immer ich auch sein würde. aber nach der ankunft. eine grössere pause mit essen sollte aber mindestens drin liegen am vormittag. die gab es heute nicht. vielleicht war ich deshalb so energielos. auch kein käffchen. meine koffeinabhängkeit zeigte sich aber bisher sehr diskret, kein kopfweh oder nebel vor den augen. der sport hilft.
setze mich auf die grosse plaza von estella. beim hinlaufen laufe ich an der berühmten kathedrale von estella vorbei. ein meisterwerk. der blickwinkel ist perfekt, schaue von unten auf eine treppe, die in einem kleinen bogen hoch hinauf zum prächtig gotischen eingang führt. auf der plaza etwas lesen, wollte mich dann aufmachen zum abendessen. heute mal alleine. kein alkohol. francesco hat mir geschrieben wo sie zum abendessen seien. geselle mich in die runde. der berühmte youtuber ist mit dabei und eine hübsche spanierin um die fünzig. ein paar leute wollen fotos schiessen da sie den youtuber erkennen. selbst die spanierin am tisch kennt ihn. paco hat den charmeur ausgepackt und sitzt neben ihr beim essen. donovan zeigt uns videos seiner kinder, die ziemlich gut jazz spielen. hat ein schönes haus in indiana und einen riesen garten voller grüner bohnen. er liebt grüne bohnen. für einmal gibts anständig vegetarisch hier in einer bude, francesco und ich sind superglücklich! ich erzähle den männern von meinen plänen, dem tag auszeit. sie verweisen mich auf paracetamol zum schlafen und irgend einem spray. sollte morgen weiterlaufen. aber nach dem heutigen schmerzen echt keine chance. wäre pures leiden. verabschiede mich und laufe zurück zum hostel. wieso sind die typen so fit?
im hostel dann die wende. quatsche mit dem typen an der rezeption, ein pensionierter engländer der hier aushilfe leistet. er meint zu mir „listen. what you have seen on the camino, it gets worse. i know people in saint jean and they told me they opened up a gym to place the pilgrims for the night. this is not nice. the september wave has started and you‘re inside the peak. if you‘re a surfer, you‘d like this, but who knows if this is the peak already or not“. ich denke darüber nach, lese mir den forumsthread durch den er mir empfohlen hat. the september wave. man nennt sie auch „grey wave“ in navarra, da so viele pensionierte menschen mit grauen haaren starten würden in saint jean oder pamplona. verrückt. was ich nicht verstehe: in saint jean wüsste man ja, ob der peak durch wäre oder nicht. nur hier weiss man nichts. aber wir könnten ja in die zukunft schauen? haben gestern in saint jean noch mehr leute gestartet dann wird es logischerweise noch schlimmer mit den herbergen. zwei wochen soll die wave andauern. weiss noch nicht so recht. er empfahl mir den bus nach los arcos oder torres zu nehmen, das nächste etappenziel. und dort zu pausieren. der gedanke schmerzt, würde ich doch ein paar kilometer überspringen. aber der gute mann hat mehr erfahrung, hätte vielleicht recht. keine ahnung. hole meine getrocknete wäsche zusammen und gehe zähneputzen. denke zurück an die deutsche frau, ende fünzig, der ich seit ein paar tagen jeweils in den herbergen begegne. sie sitzt dann immer neben der wäsche und schaut in die ferne. und wartet darauf bis die wäsche trocknet da sie alle fünf minuten die wäsche anfasst und inspiziert. hab mal versucht zu quatschen mit ihr dann ist sie einfach reingegangen. die message war klar. kein bock. alles klar! werde nicht mehr mit ihr reden. sie ist immer alleine unterwegs. wirkt recht angespannt.