
heute hat noch früher angefangen. um 5 uhr begann das erste rascheln, wurde immer stärker und lauter und war durch das beginnende zusammenpacken der pilger*innen hervorgerufen wurde. 5.15 uhr wurde das licht im schlafsaal angeknipst. was geht denn hier ab. ich blieb bis 6 uhr im halbschlaf liegen und musste danach erstaunt feststellen, dass ich der letzte war mit aufstehen. alle weg. beim zähneputzen und zusammenpacken traf ich donovan im flur des steinernen klosters an. er fragte mich ob wir uns in zubiri sehen würden heute abend. ich sagte ihm, dass ich schon jetzt loslaufen würde, das frühstück später nachhole und bis nach larrasoaña — ein dorf weiter als zubiri — laufen möchte bis am ende des tages. nach den ersten schritten durch den innenhof des klosters spürte ich den gestrigen abstieg durch das schwere gepäck in den knien deutlich. rechne heute mit mehr pausen als gestern. die würden mich womöglich eh einholen. donovan gab mir einen etwas traurigen blick zurück. ob wir uns wohl wiedersehen die tage?
im dunkeln lief ich um 6.30 weiter das tal abwärts. keine fünf minuten nach dem losmarsch holte mich eine dänin in einem waldstück ein. sie hatte die stirnlampe montiert und weiste uns den weg. meine war irgendwo im rucksack verstaut weshalb ich der gefährtin gerade sehr dankbar war. sie würde in pamplona vielleicht nach san sebastian reisen und zum camino norte wechseln, der weniger frequentiert ist. ich erzähle ihr von der via de la plata, eine anspruchsvollere route welche mein reiseführer lobte. wir erblicken nach einer halben stunde nach dem waldstück eine bar, welche schon sehr früh geöffnet zu sein scheint. es ist noch immer dunkel. knapp 20 pilgernde sitzen draussen. kaffee und frühstück holten jene nach, welche in roncesvalles keinen platz mehr übrig hatten. ich holte mir ein sandwich, packte es ein für später und wollte gleich raus, so lief ich in fabio rein, einen italiener, der gestern beim abendessen ordentlich wein reingehauen hatte. er machte sich einen namen im lokal in dem er stehend und laut brüllend irgendwelche ansagen machte und ständig das halbvolle glas wein in die luft hob. und fast nicht mehr stehen konnte. kurliger typ. paco meinte gestern noch der würde nicht früh aufmögen. von wegen. ein earlybird. und scheint tiptop wohlauf zu sein.
die dämmerung setzt langsam ein, es wurde heller. rechts von mir die anhöhen der ausläufer der pyrenäen. der weg schlängelt sich auf und absteigend abwechselnd durch schattige buchenwälder und offenere passagen. schnappe mir ein käffchen und ein käsesandwich in einer unbesuchten bar nach einiger zeit und erreiche nach knapp fünf stunden ohne grosse pause schon zubiri, das offizielle ettappenziel. die mittagssonne beginnt langsam zu brühen. wasser ist leer und die beine spüre ich deutlich. noch nicht fertig gelaufen für heute leider. zubiri wäre eh schon voll. keinen platz mehr hier zum schlafen und wir haben erst kurz vor 12. kaufe mir irgend so ein isogetränk — und weiter gings dem kleinen fluss entlang. muss mir den namen vom getränk merken, super trinkstoff. 5g zucker auf 100ml. passiere eine riesige magnesiumsfabrik zur rechten im tal unten. eine riesige fabrik. auf einer kleinen anhöhe sitzt ein mann mit schnurrbart und weiss-schwarz gestreiftem langarmshirt und knabbert an seinem bocadillo. er trägt einen cowboy hut und hat die walking stöcke beiseite gestellt. filmreife szene. wir quatschen, er drückt mir die ecke seines angefangenen sandwiches in die hand. ein franzose. ist schon die dritte woche unterwegs, von irgendwo zwischen le puy und saint jean. josian heisst der mann. schosiann spricht man das aus. ein pärchen aus japan stosst dazu, sie wollen nach pamplona noch am heutigen tag. nach pamplona?? ist bestimmt 40km für die heutige etappe von roncesvalles. sie meinten gestern ging tiptop, also ruhig mal paar kilometer draufpacken. chapeau. ich laufe weiter, josian bleibt zurück auf dem bänkchen. ein trinkbrunnen erscheint zwischen zwei höusern in der vorpyrenäischen landschaft. die physiotherapeutin aus dänemark stosst dazu, hatte sie zuvor auf dem weg nach zubiri getroffen. laufe weiter richtung larrasoaña, knappe stunde wohl noch. der weg ist angenehm, mal asphalt, mal kiesweg. spüre die anzeichen einer blase. nein. mehrere blasen. eigentlich an beiden füssen. wanderschuhe einlaufen ohne blasen zu kriegen. geht das überhaupt? da muss ich durch, die schuhe werden hoffentlich eingelaufen sein in ein paar tagen. hoffe morgen schmerzt es nicht zu fest. hab noch kein sporttape gesichtet in den apotheken in frankreich, nur blasenpflaster hab ich dabei. seither gab es keine apotheke auf dem weg. in larrasoaña laufe ich über eine alte steinbrücke. josian holt mich in der sekunde ein und wir suchen gemeinsam die städtische pilgerherberge. was hier kommt ist schwer in worte zu fassen aber allemal filmreif. der parcelssänger läuft uns entgegen, er nehme sich die andere herberge. bessere bewertung auf google maps. wir gehen ins gebäude rein und durch einen schmalen flur in das pilgerbüro. ein fetter schwerer schreibtisch aus holz steht quer im abgedunkelten raum. daneben vier pilgernde am warten auf den stühlen. eine junge spanierin in dunklen haaren sitzt am schreibtisch und tippt in ihr handy und schreibt irgendwelche nachrichten auf whatsapp. parallel dazu pickt sie sporadisch den nächsten wartenden gast und übergibt ein freies bett. sie nimmt sich die zeit. ihr handy scheint aber mehr gewicht zu haben als die nasen vor ihr. sie mustert die leute jeweils kurz an. die szene sieht aus wie in einem bewerbungsgespräch für lehrpersonen. frau direktorin. la señora. mitte zwanzig. josian und ich gehen nach draussen warten. ziehen schuhe und die verschwitzten socken aus. joasin erzählt mir warum er den camino macht, was ihn bedrückt. irgendwann sind wir dann an der reihe für die betten. duschen und wäsche machen. meine zimmergenoss*innen alles deutsche, ein junges pärchen und ein ernsterer typ. wir sind alle etwa gleichen alters denke ich, so ende 20. ein supermercado soll es geben hier. ich laufe quer durch das kleine dorf. ein koreaner sucht verwirrt im dorf nach einer spezifischen herberge. ich zeige ihm den weg. war aber noch nie da. er lief mir einfach hinterher. eher durch zufall fand ich dann die herberge. lag auf dem weg zum supermarkt. der koreaner dankt mir. diese koreanische pilgervolk schaut immer so verwirrt aus, suchende blicke, unsichere schritte. lustige hüte haben die immer auf. verlegenes lächeln. paco erzählte uns gestern dass die koreanischen studierenden ECTS punkte für ihr studium in korea kriegen wenn sie den weg machen. je härter desto mehr punkte. im winter bei schnee die pyrenäen zu machen gebe am meisten punkte. letzten winter sei ein chinese auf dem pass verfroren. ob die auch punkte kriegen? der asiatische leistungsdruck ist gewaltig.
der supermercado war dann eher eine mischung aus kiosk und bar. der besitzer ein belgier, hat seine frau auf dem weg kennengelernt und dann geheiratet. irgendwann sei der traum ein alberge aufzumachen, doch bis dann würde diese kioskbar als lösung dienen. sie servieren durch die mikrowelle aufgewärmte fertigmenüs als pilgermahl. ernsthaft? eine alternative gibt es im dorf nicht. ich packe mir ein paar joghürtchen und einen kaffee, lese das buch von kerkeling weiter. der kiosk ist gut besucht, ein dutzend pilgermenschen geniesst hier die ankunft im kleinen dorf. josian stösst dazu. wir reden über alles mögliche draussen im halbschatten als bob aus dem laden kommt. beige wanderweste. weisser kinnbart. um die 120kg. tättowiert. sieht aus wie ein truck driver aus kentucky. fehlt noch die flinte. bob kommt aus rhode island. „you know it‘s not actually an island. don‘t ask me why it‘s called an island“. drehe eine kurze runde um das dorf und setze mich im schatten an den kleinen fluss.
hab mich mit dem grossen brasilianer und dem parcelssänger zum abendessen verabredet auf 7 uhr in der kioskbar. josian stösst dazu. ein bärtiger typ kommt dazu, hat seinen fetten schäferhund dabei. biwakiert auf dem weg. er nennt sich papillon, ein künstlername. kann nur französich, josian übersetzt mir die wörter die ich nicht kenne ins englische. neben mir ein deutscher, wohnt in genf, auf der durchfahrt von san sebastian zu einem weingut in léon besucht er den besitzer des kiosks. wir haben eine gute und äusserst lustige runde. hatte im reiseführer gelesen es wären mehr frauen auf dem camino als männer. davon war nicht so viel zu spüren bisher. sowohl gestern und heute reine jungsrunden! die frauen sind eher älteren alters. mindestens 50, eher über 60 die meisten. viele franzosinnen und amerikanerinnen. vielleicht drücken die die statistik hoch. das menü ist sensorisch eher ein tiefpunkt. aber die runde herzlich, die besitzer kommen zu uns an den tisch, zünden sich eine zigarette an. sie kommt aus russland, hat den spanischen pass. sie würde lieber in frankreich die herberge aufmachen da dort das netz an unterkünften noch nicht sehr hoch ist. aber in europa einen pass als russische staatsbürgerin zu beantragen sei nicht die beste ausgabgslage derzeit. der deutsche neben mir hat den weg 2020 während covid gemacht. 50 leute am tag. im ganzen jahr waren weniger leute unterwegs als dieses jahr im august. josian sagt ich sähe aus wie eine figur aus tarantinos filmen. wir lachen laut. er doch genauso. muss mir auch so einen cowboyhut besorgen in pamplona, der look ist fantastisch. sein schwarzer schnurrbart steht im ausgezeichnet. ich frage ob wir uns morgen in pamplona sehen würden. er sagte er wäre morgen da, habe lust auf „la fiesta“. welche fiesta? ah nein kein bestimmtes fest, er will einfach hochsteil gehen am abend auf der plaza! „you know, vino, cerveza, la musique!“ sagt er hochmotiviert. hehe also gut! pamplona ruft morgen, die erste grössere stadt auf dem weg. 3-4h fussmarsch. wir tauschen nummern aus, ich verabschiede mich.
neben mir im bett an der wand höre ich spanisches fernseheprogramm. eine oma wohnt mit ihrem enkel hier im oberen stock der pilgerherberge, hab sie kurz gesehen am nachmittag. quatsche in schlafsack noch mit den deutschen. sie wechseln in léon auf den camino primitivo, geht von der nordküste diagonal runter nach santiago. die letzten 200 kilometer seien komplett überloffen meinten sie. könnte ich evtl auch machen wenn ich hier auf dem camino francés bleibe die nächsten wochen.