ein verrückter erster tag auf dem camino. wecker ging um 6 uhr morgens los und ich mitten im nirgendwo auf einer schafswiese in den pyrenäen. hab schlecht geschlafen, da ich durch meine taschenlampe einen ganzen mückenschwarm ins zelt gelockt habe. oder es war nur die fiese eine die mich durch ihr sumsen stets dann nerven liess als ich kurz vor dem einschlafen war. und es war auch eine gute wärme im zelt und sehr schwül die nacht. dicker nebel hervorgeruft durch die abkühlung der luft die von norden und westen kommt. haben ja noch immer spätsommer, selbst hier oben in der höhe. also irgendwann klappte dann das einschlafen trotz mückenschwarm und nach dem wecker hörte ich schon die ersten stimmen neben mir vorbeilaufen. das müssen sie wohl sein, die berüchtigten nachtschichtpilger von kerkeling. schon ordentlich. wenn die in saint jean gestartet sind und jetzt schon hier sind. aber es gab auch noch einige herbergen dazwischen auf dem weg. so oder so sind sie falsch abgebogen und laufen die strasse entlang die abseits vom weg führt. das haben sie davon. es ist stockdunkel, man sieht die schilder nicht. dazu dicker nebel. ich dreh mich noch eine runde im schlafsack und muss wohl knapp nach 7 uhr losgegangen sein. zelt durch den tau pflotschnass und 4 rossschnecken auf dem innenzelt alles vollgesabert. bestens. die morgendämmerung traf dann langsam ein als ich hochlief. wasser alles schon leergetrunken in der nacht und so hoffte ich auf einen baldigen brunnen. und der kam tatsächlich eine knappe stunde später. viel los hier. der brunnen lag vor einer herberge und es herrschte aufbruchstimmung. bestimmt 20 leute draussen. eine amerikanerin fragte mich ob ich von saint jean käme. ich beneinte, sei mit dem zelt hier. „oh my goodness you‘re such an advanterous man“, meinte sie grinsend. räusper. war das grad eine anmache? ein paar meter weiter holte mich von hinten ein mann ein. blaues langarmshirt, gletscherbrille, cowboyhut. er haute mich an mit „hi! i‘m american and where do YOU come from?“. es ist morgens um 7 und ich noch nicht mal wach jetzt geht schon der smalltalk los. der gute mann kommt aus indiana und heisst donovan. ein irischer name. witziger typ eigentlich aber schon sehr redseelig um diese uhrzeit. er blieb bei den pyrenäischen schafen dann verdutzt stehen und musste ein foto schiessen mit seiner digicam. sein handy sei ohne strom seit er in europa angekommen ist vor paar tagen. sympa.
durch die gewonnene höhe legt sich langsam der nebel und erste sonnenstrahlen drücken durch. noch ist kein ende in aussicht und es geht steil nach oben. 1200 höhenmeter sind angesetzt für heute. ich würde gerne am frühen nachmittag ankommen und in die herberge gehen und mich in einer ersten handwäsche probieren. doch die hälfte der betten ist ausgebucht. die andere hälfte kommt nach dem first-come-first-serve prinzip. und vor roncesvalles gibts nur pyrenäenlandschaft. bei einem plateau eine kurze pause. ich schiesse ein foto für einen spanier. er meint ich solle ihn philosophisch in den nebel hineinschauend ablichten. nun gut. ein wahrer kenner. die szene sieht aus wie aus diesem gemälde aus der romantik. der wanderer. weiss nicht wie es heisst. wir laufem gemeinsam weiter hoch. ein italiener stosst dazu. er kann kein spanisch und redet auf italienisch mit uns. der spanier auf spanisch. ich dazwischen. stellt dich raus der italiener kann englisch und so fungiere ich als übersetzer. der spanier stellt sich als francisco vor. der italiener lacht lauthals raus. ha! er heisst francesco. francisco und francesco. der spanier nennt sich selber paco. nicht pancho, wie ich es kenne, das kennt paco nur aus mexico. paco? wie paco rabanne? hat also paco rabanne, die parfümmarke, vielleicht ein spanier namens francisco gegründet denke ich innerlich aber frage paco dazu nicht aus. paco fängt beim stetigen anstieg lauter an zu keuchen und erzählt uns er habe eine operation am lungenflügel gehabt und sei in der kondition zurückgefallen. hab zu wenig vom spanisch verstanden und ob er krebs hatte oder nicht oder ob er gar den ganzen lungenflügel rausnehmen musste. dann habe er begonnen, nach der operation, jeden tag schwimmen zu gehen im meer. kommt aus valencia. während covid sei sogar das schwimmen im meer verboten gewesen. aber er hat es trotdem gemacht bis ihn irgendwann die policia mit dem motorbloot rausgenommen hat. unsere gruppe hat einen guten zug drauf, beide männer machen sportlich einen top eindruck. in saint jean sagte man uns es gäbe einen foodtruck gegen ende des anstieges. einen foodtruck? ich stelle mir eine indische familie vor die kotturotti herzaubern, gekühltes mangolassi und im hintergrund läuft radio. stellt sich raus der foodtrack ist ein weisser berlingo mit einem klapptisch und ein paar früchten. muss reichen, tut‘s aber allemal hier oben. lasse meinen rucksack kurz abstellen und packe mein frühstück aus mit blick auf das tal gen frankreich. haferflocken und eine halbe flasche reismilch, hab beides hochgeschleppt, nochmals 1.5kg. nicht optimal. paco meinte er nehme kaum essen mit wenn die dichte an albergos und bars hoch sei. packt paco sein käsesandwich aus und gibt mir die hälfte zu geben. ich lehne zuerst ab, aber er insistiert darauf und marschiert mit francesco weiter. ein bauer verkauft beim berlingo wenige meter von mir entfernt seinen käse und bananen. snickers hat er auch im angebot. ich werde kurz weich aber entscheide mich für bananen und käse. lustig ist ja dass die typen hier oben alle das gleiche auto fahren. einen weissen citroen berlingo. dass die ihr auto nie verwechseln. oder sind die schon soweit dass die sharing economy machen? car pooling mit der gleichen gangschaltung und kupplung? der bärtige typ trägt sogar ein französisches beret und eine braune weste, sein kleiner bierbauch drückt die weste ein wenig auf. klassischer könnte er nicht geschnitzt sein.
nach einem weitermarsch komme ich an donovan vorbei der mit einem älteren amerikaner quatscht. er erzählt mit von einem deutschen pärchen. am schluss ist donovan der connecter per se und kennt jeden kopf in der herberge. würde mich nicht wundern. er redet auch 300% lauter als alle anderen und so höre ich ihn noch hunderte meter weiter im gespräch verwickelt. ich erreiche einige stunden später den gipfel, höchster punkt des tages. die 1200 höhenmeter von saint jean aus wären geschafft. aber: auf dem gipfel ist niemand zu sehen. kein mensch weit und breit. ein paar pilger*innen sind auf dem abstieg vor mir runter ins tal. es ist um die mittagszeit rum. soll ich hier meine bananen auspacken und eine pause einlegen? ich überlege kurz. in der schweiz wäre das jetzt der ort und die zeit wo alle wanderfreudigen Ü50er mit ihren wanderkarohemden und den gletscherbrillen mir entgegenschauen, kurzen augenkontakt geben und danach ihr aromat und ihren lyoner auspacken. auch in der ferne sehe ich hier oben niemanden sitzen. sind die schon alle im tal unten? mich haben bestimmt um die 50 leute überholt beim frühstücken. danach hab ich kaum leute gesehen vor mir. wie viel platz hätte denn die herberge denn überhaupt? ratzfatz laufe ich weiter.
unterdessen bin ich auf spanischem boden und habe die grenze überquert. dann, nach einem kurzen abschnitt sehe ich das immense kloster von roncesvalles. es sieht beeindruckend aus. zu zeiten des mittelalters hatte es als pilgerhospital und auffangstelle gedient nach der gefährlichen und mühsamen überquerung durch die pyrenäen. gleich hier gab es anscheinend eine schlacht, in der karl der grosse und seine armee gegen die aggressiv vordringenden mauren verlor.
beim weiteren abstieg laufe ich durch einen dichten wald. noch 20min bis zum kloster. plötzlich kommt mir ein massives pferd entgegen und bleibt stehen. keiner zu sehen weit und breit und ich wage einige schritte vor. das pferd hebt seinen kopf und schaut zurück, also wolle es ein signal geben. das ding ist riesig. hab glaub noch nie ein solch grosses pferd gesehen. elefantenpferd. wir gehen vorsichtig aneinander vorbei, da tauchen zwei kleinere pferde auf. und nochmal ein grosses, womöglich die mutter. es scheint mir eine wilde pferdefamilie zu sein. mal eben kurz durch roncesvalles spazieren, sieht noch nett aus. in dem moment krachen vier pummelige mexikanische biker durch den waldpfad und drängen die pferde auf die seite. „ay carriba estes pendejos“ (oder so was ähnliches) höre ich mit einem starken mexikanischen akzent fluchen und die jungs quasseln munter weiter während sie runterbrettern.
ich treffe vor einem tor auf das kloster von roncesvalles. treffe im innenhof auf paco, welcher mir sagt die herberge würde erst in einer stunde öffnen. rund ein dutzend leute warten im schatten auf selbiges. francesco ist nicht zu finden. hatte mich doch überholt. paco hat währenddessen alles im griff und weiss um die genaue reihenfolge jedes neuen ankünftlers (und ankünftlerin). aufmerksamer typ. neben mir sitzen der grosse 2 meter luki bräm, brasilianer ist er. daneben eine franzosin. leichter eso-hauch ihrem outfit nach. sie packt einen edelstein aus der als pendel fungiert. kreisen heisst „ja“, nicken bzw geradeaus heisst „nein“. der edelstein macht keinen kreis und die dame beschliesst weiterzulaufen ins tal. sie demonstriert uns die authenzität dieses orakels durch die abfrage ihres namens. der edelstein kreist. traue dem ganzen nicht ganz. sie steht auf und läuft davon. die herberge öffnet und wir gesellen uns in die schlange. nicht wenige schlaumeier drücken sich durch obwohl sie grad erst angekommen sind. donovan, der mann aus indiana, treffe ich in der schlange wieder. wir beziehen unsere betten im dunklen klosterkeller trotz den rennovierten obigen etagen. uns erstlinge schickt mal wohl zuerst in die einfacheren gemache. dann die erste dusche und die erste handwäsche. eine holländerin mittleren alters mit kurzen haaren macht mir vor wie das geht. sie macht den eindruck nach einer stattigen hausfrau, denn ihre handgriffe scheinen gekonnt. vielleicht auch einfach erfahren im pilgern. oder handwäsche. ich hänge mein zelt zum trocknen auf und sehe das schleimschlamassel der schnecken. wie bringe ich das zeigs weg? paco lädt in der sekunde zum bier ein und so vertage ich das putzen auf später. zu viert stossen wir auf die heutige etappe an: paco (der gebürtige spanier), donovan, francesco (der italiener dem ich mit paco zusammen als übersetzer diente) und ich. wir haben eine lange und lustige runde diesen nachmittag und paco bestellt vier eiskalte estrellas nach. der gute paco erzählt uns viel aus seinem leben und donovan versteht kaum ein wort, so muss ich ständig auf englisch übersetzen, da paco kein wort englisch versteht. paco hat dann auch gleich seinen sohn angerufen um ihn für einen englisch sprachkurs anzumelden. paco und donovan haben beide zwei söhne und sind wohl um die fünfzig, francesco ist vielleicht so um die vierzig.
paco bezahlt die runde und wir spazieren dem kloster entlang zurück ins gemach. ein mann aus arizona stosst dazu, musste geschäftlich noch ein telefonat machen obwohl er dazu keinen bock hat wie er meint. „buy it on amazon! my god. these people. buy the fuck on amazon. i‘m in the nowhere of spain and won‘t ship you any lamp right now.“ seufzt er entnervt.
ich wechsle mein slot fürs abendessen von 19 uhr auf 20.30 damit ich mit den neuen freunden gemeinsam dinnieren kann. vor dem dinner noch kurz ein schwatz mit einem älteren pärchen aus holland, welche die komplexe situation im waschsalon im griff hat. die herberge hat platz für über 280 leute, vielleicht noch mehr, die maschinen laufen alle auf hochtouren. da bin ich froh habe ich zur handwäsche gegriffen denn die trocknet jetzt draussen an der sonne. tumbler gibts hier keinen. das holländerpärchen macht einen unglaublich zufriedenen eindruck. ich schätze sie über 80, die frau trägt einen weissen bob und macht einen attraktiven eindruck trotz dem gebrechlichen alter. eine gruppe aus holland schmeisst hier ehrenamtlich die immense herberge. fantastisch. ob ich müde sei fragte mich die dame. es geht noch, antwortete ich. und lief rüber fürs abendmahl. der stuhl am vierertisch war für mich noch frei und paco schenkte mir schon wein ein. sie hätten auf mich gewartet, wir essen und diskutieren eine gute runde, paco bestellt noch eine flasche wein nach, wird sehr philosophisch. „vor dem berg kannst du nicht lügen“ meinte er. klingt klug und metaphorisch. werde morgen darüber nachdenken wass er damit genau meinte. demütig sein würde ich das jetzt mal übersetzen. du kannst dem berg nichts aufspielen. er ist so viel mächtiger als du. er zeigt uns ein paar fotos von seinem sohn. er ist teil einer gruppe von leuten die ein paar herbergen in den pyrenäen bewirtschaften. er kocht manchmal da. die operation hat ihn viel lebenskraft gekostet, war er doch ständig in den bergen unterwegs. donovan erzählt uns von seinen „dinner rounds“ in denen drei pärchen zusammen kommen zum essen und jeweils zwei leute zufallsgeneriert kochen müssen. ich stell mir das szenario in diesen amerikanischen einfamilienhausquartieren im furzflachen indiana vor. es ist knapp vor zehn und wir erinnern und dass das licht in den schlafsälen dann abgeknipst wird. als ich zurückkomme sind schon alle in den schlafsäcken. ich verschwinde ebenfalls in meinem und höre schon die ersten schnarchnasen. der schlafsaal im keller ist sehr einfach hier. doppelbette sind eng aneinandergereiht. aber auch schön, mit der gruppe zusammen zu nächtigen. schon jetzt wird mir deutlich, was der pilgerführer mit „pilgerfamilie“ meinte.